
geplatzte Träume
„You can get it if you really want“
Wenn ein Lebensentwurf scheitert, fragen sich viele: Habe ich genug dafür getan? Oft liegt der Grund aber ganz woanders, hat Schriftsteller Mark Manson beobachtet: Viele wissen einfach nicht, was sie wirklich wollen.
Jeder will sich gut fühlen. Jeder will ein sorgenfreies, glückliches und unkompliziertes Leben. Sich verlieben, umwerfenden Sex und erfüllende Beziehungen haben. Jeder will am liebsten perfekt aussehen, gut verdienen, beliebt sein, respektiert und bewundert werden. Jeder wäre gern eine coole Sau.
Wenn Sie deshalb auf die Frage „Was erwarten Sie von Ihrem Leben?“ so etwas sagen wie: „Ich will glücklich sein, eine tolle Familie haben und einen Job, den ich mag“, ist das völlig beliebig. Nichts, was Sie von anderen unterscheidet.
Wie wäre es mit einer interessanteren Frage? Einer, über die Sie vielleicht noch nie nachgedacht haben? Nämlich: Welche Entbehrungen wollen Sie in Ihrem Leben erdulden? Wofür würden Sie sich ein Bein ausreißen? Die Antwort sagt viel mehr über die Weichenstellungen in Ihrem Leben aus.
Jeder will einen spannenden Job und finanzielle Unabhängigkeit - aber nicht jeder will 60-Stunden-Wochen, öde Fahrten im Pendlerzug, den ganzen Papierkram, das Gedränge auf der Karriereleiter und das Leben in der Parallelwelt der Bürokorridore. Am liebsten wollen die Leute ohne Risiko reich werden, ohne persönliche Opfer und ohne die elende Warterei darauf, dass sich ihre Investitionen endlich auszahlen.
Irgendwann arrangieren sich die meisten mit ihrem Leben - und fragen sich trotzdem ständig: „Was wäre gewesen, wenn?“ Über die Jahre wandelt sich die Frage in: „Das soll's gewesen sein?“ Es kann helfen, sich eine Binsenweisheit vor Augen zu führen.
Glück erfordert Mühen.
Das Positive ist sehr oft der Nebeneffekt davon, dass wir mit etwas Negativem zurechtgekommen sind. Viele hätten gern einen Traumkörper. Aber den werden sie nicht bekommen, solange sie nicht den Schmerz und die Anstrengung akzeptieren, die ein Leben im Fitnessstudio mit sich bringt. Viele wollen sich selbstständig machen und dabei reich werden. Aber das wird nicht klappen, solange sie nicht das unternehmerische Risiko tragen, die Rückschläge verkraften und eine irrsinnige Arbeitslast schultern, ohne zu wissen, ob ihre Geschäftsidee überhaupt Erfolg haben wird.
Oft hört man den gutgemeinten Rat: „Du musst nur wirklich wollen!“ Das ist völliger Quatsch. Jeder will etwas und jeder will irgendetwas auch wirklich. Vielen ist nur nicht klar, was sie wirklich wollen. Wenn Sie etwas wirklich wollen, Monat für Monat, Jahr für Jahr, diesem Ziel aber in all der Zeit keinen Schritt näher kommen, dann könnte es sein, dass dieses Ziel eine Fantasievorstellung ist. Vielleicht wollen Sie gar nicht, was Sie wollen, Ihnen macht nur das Wollen selbst Spaß.
Als Jugendlicher und junger Erwachsener habe ich davon geträumt, ein Rockstar zu werden. Bei jeder Gitarrennummer, die ich hörte, stellte ich mir vor, wie ich das Solo auf der Bühne spiele, während mir die Fans zujubeln. Mit diesen schönen Bildern - meine Finger wild auf der Gitarre, die Meute vor mir, die schier durchdreht - konnte ich mich Stunden beschäftigen. An dieser Fantasie hielt ich sogar noch fest, als ich mit der Musikschule aufhörte. Und mit dem regelmäßigen Üben. Selbst dann stellte ich mir nie die Frage, ob ich jemals als Gitarrenheld auf der Bühne stehen würde, sondern nur wann es soweit sein würde. Erst mal das Studium beenden. Dann Geld verdienen. Dann die nötige Zeit finden. Und dann… dann kam nichts.
Obwohl ich ihn mein halbes Leben lang geträumt hatte, wurde der Traum vom Rockstar-Leben nie Wirklichkeit. Es kostete mich viel Zeit und viele unangenehme Erfahrungen, um den Grund herauszufinden: Ich hatte es nicht wirklich gewollt.
Ich war verliebt in das Ergebnis, das Bild von mir im Rampenlicht, davon, wie ich alles gebe in gewaltigen Bühnenshows. Aber ich liebte den Prozess nicht, der zu diesem Ergebnis hätte führen können. Deswegen habe ich versagt. Mehrfach. Verdammt, ich habe es nicht einmal ernsthaft genug versucht, um wirklich versagen zu können.
All das Üben am Instrument, die Mühen, eine Band zu finden und mit ihr zu proben, die entbehrungsreiche Suche nach Auftrittsmöglichkeiten, die enttäuschenden Versuche, überhaupt jemanden für unsere Gigs auch nur entfernt zu interessieren. Dazu die gerissenen Gitarrenseiten, der durchgebrannte Verstärker, die Schlepperei von Equipment, ohne auch nur ein Auto zu haben. Das alles wollte ich nicht.
Wenn jemand derart versagt, ist es in unserer Kultur üblich, von einem Verlierer zu sprechen. Davon, dass ich nicht entschlossen genug war oder dass ich nicht genug an mich selbst geglaubt habe. In der Start-up-Szene würde man sagen, dass ich meinen Traum verraten habe und mich zu sehr von den Lebensvorstellungen habe leiten lassen, mit denen ich aufgewachsen bin.
Die Wahrheit ist viel uninteressanter: Ich habe gedacht, ich will etwas, musste aber einsehen, dass ich es nicht wollte. Ende der Geschichte.
Wer Sie sind, erkennt man daran, für was Sie sich wirklich aufreiben wollen. Die Leute mit der tollen Figur sind diejenigen, die sich gern im Fitnessstudio quälen. Die Leute, die Entscheidungen für Tausende Mitarbeiter treffen, sind diejenigen, die dafür stundenlang in Meetings sitzen und gerne taktieren. Und Rockstars werden diejenigen, die sich nicht an der Unsicherheit eines Künstlerlebens stören.
Die alte Formel „kein Fleiß, kein Preis" greift zu kurz. Entscheidend ist, auf welchem Gebiet wir fleißig sein wollen und können. Deshalb: Wähle Deine Entbehrungen mit Bedacht.
Dieser Beitrag erschien in einer etwas längeren Fassung zuerst auf Mark Mansons Blog. Übersetzung: Matthias Kaufmann auf Spiegel.de
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